Bereits am 13. Oktober 1918 wurde für den Nationalrat das Verhältniswahlrecht (Proporz) eingeführt. Doch im Kanton Graubünden dauerte es elend lange: 1937 scheiterte die Proporzeinführung erstmals, letztmals 2013.

Wer die Macht hat, will Majorzwahlen

Der Grund für diese Verzögerung: Machterhalt. Die dominanten Parteien klammern sich ans Mehrheitswahlsystem. Das ist sogar auf dem Weg einer halbgaren Proporzeinführung möglich. Im Kanton Schwyz wurde bereits 1898 unter dem Deckmantel der Proporzeinführung ein Mischsystem mit dem Majorz eingeführt, das den Katholisch-Konservativen ihre alte Machtposition garantierte.

Genau so war es auch diesmal für den 9. Bündner Proporzanlauf geplant. Zwar stand der Kanton unter dem ultimativen Druck des Bundesgerichts, endlich mehr Gerechtigkeit beim Stimmengewicht zu ermöglichen. Von Regierung und bürgerlichen Parteien wurde jedoch vorerst ein Mischsystem mit teilweisen Majorzwahlen in bestimmten Wahlkreisen befürwortet. Vorab dank der SP, die ihre bereits eingereichte Volksinitiative zur Reduktion des Grossen Rates von 120 auf 90 Sitze als Druckmittel benutzte, gelang der Durchbruch. FDP (heute 36 Sitze) und BDP (23) lenkten ein, die SP (19) zog ihre Initiative zurück, die Kleinen SVP (9) und GLP (3) waren ohnehin für den Proporz. Nur die zweitmächtigste Bündner Partei, die CVP mit 30 Sitzen, bockte. Sie gab lediglich Stimmfreigabe zur Proporzeinführung aus.

 

Schlussstand:  101 : 0 für den Proporz

Das Ergebnis vom 13. Juni ist historisch: Alle 101 Gemeinden sagten JA, in weltoffenen städtischen oder touristischen Gemeinden mit bis zu 88% und sogar in der katholischen Hochburg Disentis mit 59%. Entscheidend für dieses Ergebnis ist der sogenannte „Bündner Kompromiss“ (siehe Kasten) der auch die ganz kleinen Wahlkreise am Leben hält, was dort faktisch die Mehrheitswahl erhält.

 

Für uns Grüne ergeben sich neue Chancen mit dem Proporz, bereits im Wahlkampf 2022.
Kaspar Schuler, Vorstandsmitglied Verda

Neu werden die Grossratssitze gemäss den insgesamt im Kanton abgegebenen Parteistimmen vergeben. Erhalten wir bei den nächsten Grossratswahlen 2022 insgesamt über 3% der Stimmen, erhalten auch wir einen oder mehrere Grossratssitze. Für uns heisst das: Auf zur KandidatInnensuche! Denn nur wer sich zeigt und engagiert, kann auch gewinnen.

Wieso ist es ein Bündner Kompromiss?

  • Als eigentliche Bündner Spezialität wird das Kantonsparlament weiterhin Vertreter:innen aus allen, auch den wenig bevölkerten Talschaften wie dem Bergell, Rheinwald und Avers enthalten, da alle bisherigen Wahlkreise bestehen bleiben, auch jene mit nur einem oder zwei Grossratssitzen.
  • Das begünstigt weiterhin die grossen Parteien. Doch so werden auch künftig die Anliegen all der abgelegenen Talschaften direkt im Grossen Rat gehört.
  • Wohl aufgrund dieser föderalen Austarierung wurde die Proporzvorlage so eindeutig bejaht.